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2024 Svobodni! Befreit!

Wortspende · Nagovor:

Daniel Wutti und Silvia Jelinek

Transkribtion

Daniel Wutti: In fast jeder Südkärntner Gemeinde befindet sich ein Kriegerdenkmal, das den gefallenen Soldaten des jeweiligen Ortes gewidmet ist. Soldaten des Ersten Weltkriegs, Soldaten des “Kärntner Abwehrkampfs” 1918 und 1919, Soldaten des Zweiten Weltkriegs. Meist befinden sich diese Denkmäler an den prominentesten Stellen im Gemeindezentrum, am Marktplatz, vor dem Gemeindeamt, vor der Kirche. Nicht selten sind diese Denkmäler auch die einzigen Erinnerungszeichen in Gemeinden.
Wissenschafter:innen wie die österreichische Zeithistorikerin Heidemarie Uhl sprechen von einer (langen) Periode des Fokuses auf “Heldengedenken” von 1955 bis in die späten 1980er Jahre, wenn sie das große Ungleichgewicht in der österreichischen Erinnerungskultur beschreiben. Ein Ungleichgewicht deswegen, weil neben den Soldatengedenken andere verdrängt und vergessen wurden. Öffentlich gedacht wurde rein der Soldaten, als ob sie die wahren oder gar einzigen Opfer gewesen wären. Indem Krieger zu Opfern wurden, wurden die verfolgten Opfer des NS-Regimes ausgeblendet.
Während Deutschland für die Verbrechen während des Nationalsozialismus international zur Rechenschaft gezogen wurde und sich mit den historischen Ereignissen auseinandersetzte, entzog sich Österreich viele Jahrzehnte jeglicher Verantwortung. Das ermöglichte es, über Schuld und Täterschaft zu schweigen. Das ermöglichte es, die Mitbeteiligung am menschenverachtenden Nationalsozialismus zu leugnen, diese Zeit zu desillusionieren. Es herrschte Schweigen, es wurde nicht darüber gesprochen. Doch das gesellschaftliche Schweigen, das Nicht-Aufarbeiten des Vergangenen hatte verheerende Auswirkungen auf die Gesellschaft. Unaufgearbeitete Geschichte behindert Prosperität und Potentiale, unaufgearbeitete Traumen verhindern Aussöhnung, Integration und Fortschritt. Doch auch psychologisch und sozialpsycholisch gab es verheerende Auswirkungen, die bis heute wirksam sind…

Silvia Jelinek: Nach dem Ende des Krieges haben nicht nur die an den Naziverbrechen Beteiligten geschwiegen. Auch viele der Opfer schwiegen aus der berechtigten Angst vor weiterer Diskriminierung und auch aus Scham. Zeugen der Gewalttaten redeten aus ähnlichen Motiven nicht über die NS-Zeit. Dass nach dem Krieg in wichtigen Bereichen die Gleichen wieder „das Sagen“ hatten, wie während der Nazizeit, ließ die Menschen verstummen, was ganz im Interesse der Täter war.

Rechtsgerichteten Gruppierungen ist es so gelungen, ihre Geschichtsversion in der Öffentlichkeit zu verbreiten. Darin standen die nach Kriegsende von Partisanen ohne Gerichtsurteile ausgeführten Liquidationen im Vordergrund und legitimierte quasi die NS-Verbrechen. Den Angriffskrieg Hitlers und seiner Wehrmacht deuteten sie als Verteidigung der Heimat um. Wovon die Inschriften vieler Kriegerdenkmäler zeugen.

Diese Täter-Opfer-Umkehrende Geschichtsverdrehung verstärkte die ablehnende Haltung gegenüber der slowenischsprachigen Bevölkerung, da vor allem sie sich am Partisanenwiderstand beteiligt hatten.

Besonders für die aus den Arbeits- und Konzentrationslagern, in die sie von den Nazis deportiert worden waren, – traumatisiert nach Hause Gekommenen war es furchtbar, neuerlichen Anfeindungen ausgesetzt zu sein. Nur innerhalb der Familien und Kulturvereine konnten sie sich sicher fühlen. Mit ihrem Engagement erreichten die Kärntner Slowen:innen, dass die Thematik zusehends mehr Aufmerksamkeit gewann. Sie forderten in Büchern, Filmen und Veranstaltungen die Erinnerung an die NS-Verbrechen wach zu halten und den Widerstand der Partsian:innen zu würdigen. Dass an den Deportationen Mitschuldige nie ausgeforscht und bestraft worden sind, blieb jedoch eine schwere Kränkung und Verunsicherung für sie.

Die in der NS-Zeit und danach erlebte Angst und Bedrohung war in vielen Familien ein Beweggrund sich zu assimilieren. Sie wechselten die Sprache ohne wirklich darüber zu reden. Die Gruppe der Assimilierten fand weder untereinander noch von außen Unterstützung um ihre seelische Erschütterung bedingt durch den Krieg und den Verlust der slowenischen Muttersprache zu verarbeiten.

Mit ihren Gefühlen von Angst, Trauer, aber auch Scham- und Schuldgefühlen allein gelassen, wurden viele anfällig für die ideologische Verführung der Heimatverbände. Sie versprachen mit ihrer einseitigen Erinnerung und der Beschwörung einer rein deutschen Identität ein Gefühl von Zugehörigkeit. Aber auch aus sich assimilierenden Familien hatten sich Personen am Widerstand gegen das NS-Regime beteiligt. Manche von ihnen fanden später nicht einmal in ihren Familien ein würdigendes Andenken. Männer die von der Wehrmacht desertiert waren, Frauen und Kinder, die die Partisanen mit Essen, Unterkunft und mit der Weiterleitung von Nachrichten unterstützt haben, riskierten ihr Leben. Viele sind umgekommen und wurden aus der Erinnerung verdrängt. Weil sich ihre Angehörigen im Täter-loyalen Nachkriegsklima für sie geschämt hatten. Oder weil sie gefürchtet hatten, selbst zu den Verrätern und Banditen gerechnet zu werden.

Das Schweigen und die Propaganda nationalistischer Strömungen führten zu einer Spaltung der Gesellschaft in Mehrheit und Minderheit. Zum Vorteil politisch Machthabender blieben die Menschen in einem Jahrzehnte dauernden Volksgruppenkonflikt verstrickt, ohne Verständnis für die Haltung der jeweils „anderen“.

Ihre Familiengeschichten schafften es nicht mehr die Sprachgrenze zu überwinden. Der slowenischen Seite fehlten deshalb Antworten auf ihre brennendste Frage, warum die Menschen zwar untereinander, aber mit ihren Kindern nach dem Krieg nicht mehr slowenisch geredet haben. Den zum Deutschen Assimilierten fehlte die Erkenntnis, dass für die Slowen:innen, die Weitergabe der Sprache ihrer Eltern und Großeltern, mit der Forderung das von ihnen in der NS-Zeit erlittene Unrecht nicht zu vergessen, verbunden ist.

Das heutige Fest dem Widerstand gegen das NS-Regime, fördert Begegnungen über die Sprachgrenzen hinweg. Im gemeinsamen Erinnern leisten wir Widerstand gegen antidemokratische Hetze. Eine aufgeklärte Landesgeschichte ohne Auslassungen, in der die Ereignisse in wissenschaftlich belegten zeitlichen und ursächlichen Zusammenhängen stehen, in der sich alle Bewohner:innen wiederfinden können, ist die Basis für unsere Zusammenarbeit.

Die Würdigung des Widerstandes rückt den 8. Mai in den Vordergrund und entlässt den 10. Oktober aus seiner heldenverklärenden Deckfunktion für die Nazi-Verbrechen.
Immer mehr Initiativen in Kärnten / Koroška arbeiten Sprachgruppen übergreifend daran, die Erinnerung aus ihrer – in den Kriegerdenkmälern in Stein gemeißelten – Erstarrung, zu befreien.

Daniel Wutti: Die Domplatz-Initiative ist sehr, sehr wichtig für Kärnten/Koroška – und sie ist inzwischen nicht mehr die einzige Initiative in diese Richtung. In letzter Zeit haben sich nicht wenige neue Initiativen gebilden, gegen das Schweigen, für das Problematisieren und Kontextualisieren.
Etwa 15km weiter südlich setzen wir uns in mit der Initiative „Freiheit/Svoboda in Ferlach/Borovlje“ dafür ein, dass ein erst 2022 von der Stadtgemeinde neu aufgestelltes Denkmal, das den Plebiszit von 1920 als „Abstimmung um die Freiheit Kärntens“ bezeichnet, kontextualisiert und richtigstellt wird. Bis es die Stadtgemeinde machen wird, machen wir das selbst.
In St. Jakob/Šentjakob setzen sich Gemeindebürgerinnen – mit eindeutiger Frauenpower – dafür ein, dass das dortige riesige Abwehrkämpfermonument, das von illegalen Nazis in den 1930er Jahren dort errichtet wurde, endlich kontextualisiert wird und nicht weiter unkommentiert den Ort dominiert.
Im Kärntner Jauntal gibt es nach wie vor den Turnersee. Vielleicht heißt dieser See in der Zukunft doch wieder Sablatniksee, so wie er bis 1932 hieß. Dafür setzt sich die auch erst kürzlich gegründete „Initiative Sablatnigsee – Inicijativa Zablatniško jezero« ein. Der See wurde eben von den Nazis umbenannt, zu Ehren des nationalsozialistischen „Turnerbunds“.
Nur ein weiteres Beispiel noch: Nur unweit von hier steht im Landhaushof das „Denkmal der Kärntner Einheit“, wo von Kärntner SlowenInnen kein einziges Wort geschrieben steht, sehr wohl aber von braven „Windischen“, die eben deutschtreu gewesen seien, natürlich im Gegensatz zu den bösen Nationalslowenen. Wir haben das Jahr 2024 und es ist höchste Zeit, mit den deutschnationalen Märchenstunden aufzuhören!
Liebe Anwesenden! Dragi navzoči! Die letzten 10 Jahren standen im Zeichen der Sichtbarmachung bislang marginalisierter Erinnerungskultur. Viele Vereine in Kärnten/Koroška haben sich, vom zweisprachigen Süden bis in den Norden Kärntens, dafür eingesetzt, dass verfolgte Opfer des Nationalsozialismus endlich sichtbar gemacht werden, indem ihnen Denkmäler gesetzt wurden. Das ist vielen von ihnen gelungen. Und so ist bspw. die Erinnerung der 1942 verfolgten Kärntner Slowen:innen heute im Kärntner Mainstream angekommen. Und noch ist viel zu tun.
Liebe Anwesenden! Dragi navzoči! Die nächsten 10 Jahre stehen (auch) im Zeichen der unbedingt notwendigen Problematisierung und Kontextualisierung von bestehenden problematischen Erinnerungszeichen.
Wir – die wir heute hier sind – sind mittlerweile der Mainstream. Der deutschnationale Konsens ist ins rechte Eck gedrängt und darf nicht mehr mehrheitsfähig sein. Wir sind die breite, demokratische Zivilgesellschaft. Wir wünschen uns, dass unser Heimatland in der Gegenwart ankommt, bezogen auf Erinnerung und Gedenken, bezogen auf die Narrative der Zeitgeschichte. Kärntnerinnen und Kärntner, unsere Kinder und Jugendliche haben ein Recht darauf, dass die ganze Geschichte der Vergangenheit erzählt wird. Lassen wir auch zu, dass diese Geschichte komplex, vielschichtig und manchmal auch uneindeutig ist. Die Menschen in Kärnten haben ein Recht darauf. Und unsere gemeinsame Geschichte ist zweisprachig, zwei- und mehrsprachig und multikulturell. Darauf können wir stolz sein. Na to smo lahko ponosni.

SVOBODNI! BEFREIT! 
EIN FEST DEM WIDERSTAND
PRAZNUJMO UPOR

Gefördert aus Mitteln der Volksgruppenförderung des Bundeskanzleramtes.