Skip to main content

Ein Platz voller Geschichte(n)

– oder vom vergessenden Erinnern

Brigitte Entner, Teil 1 von 3

Als sich die Initiative Koroška/Kärnten gemeinsam erinnern · skupno ohranimo spomin formierte, gab sie sich den Arbeitstitel Initiative Domplatz. Verweilen wir ein wenig an diesem Platz, dessen Erscheinungsbild als Sinnbild für jene Geschichte(n) gesehen werden kann, die mit diesem Platz verbunden sind und werden. Der Platz selbst ist nicht nur sehr verwinkelt, sondern weist auch einige Niveauunterschiede auf. Zum Teil ist er gepflastert, zum Teil begrünt. Google Maps bezeichnet die gesamte Anlage als Domplatz (1), der online Stadtplan der Stadt Klagenfurt wiederum unterscheidet noch zwischen der gepflasterten Fläche, dem Domplatz, und der Grünfläche im nordwestlichen Teil des Areals, dem Jesuitenpark.(2) Es ist dies der einzige Hinweis, der an jenes imposante Gebäude erinnert, welches nicht nur vom Ende des 16. Jahrhunderts bis Anfang der 1960er Jahre die gesamte Westseite der Domkirche umgürtet, sondern auch wichtige Impulse für die Stadt und ihre Geschicke ausgestrahlt hatte. Vor Ort, nahe der Kreuzung Lidmanskygasse – Karfreitstraße, befindet sich seit 2019 ein Straßenschild mit der Bezeichnung „Stadtrichterplatz“. Es wurde anlässlich des 55-Jahr Jubiläums des Vereins „Stadtrichter“, der den Altstadtzauber organisiert, aufgestellt.(3)

Niveauunterschiede der Erinnerung(en)

Dieser Beitrag will versuchen, auf die Niveauunterschiede der Erinnerung(en) einzugehen, das Verwinkelte aufzubrechen und das Verdeckte, soweit es in diesem Rahmen möglich ist, wieder ein Stück weit sichtbar zu machen. Was wird aktuell der Erinnerung preisgegeben? Was wird vergessen und verdrängt an diesem Platz, der sich in der Zwischenkriegszeit unter anderem auch als Ort des Erinnerns und Bewahrens verstanden hat? Ein neuerlicher, genauerer Blick auf Google Maps enthüllt uns im nordwestlichen Teil des Areals die Existenz eines Erinnerungszeichens sowie eines Reliefs. Das Relief zeigt die Stadt Klagenfurt im ausgehenden 17. Jahrhundert und bietet somit auch einen Einblick in die räumliche Situation vor Ort. In unmittelbarer Nähe zum Relief ragt eine Marienstatue in die Höhe. Sie wurde, wie die Inschrift erklärt, anlässlich der Beendigung der Besetzung Wiens im Jahre 1683 gestiftet, nach einer wechselhaften Geschichte 2002 saniert und auf ein Sockelpodest gesetzt. Neben den beiden Exponaten befindet sich jedoch noch ein weiteres, ebenfalls 2002 erneuertes Erinnerungszeichen. Es ist dieser Gedenkstein, der den Anstoß zur Gründung unserer Initiative gegeben hatte. Wiewohl er auf Google Maps nicht eingezeichnet ist, dominiert er die am Platz eingeschriebene Erinnerungskultur, obgleich dieser Platz noch viele weitere Geschichten zu erzählen hätte. Die meisten dieser Geschichten, auch jene aus dem 20. Jahrhundert, sind dem kollektiven Gedächtnis wieder entschwunden. Sie betrafen nicht nur Individuen sondern auch Kollektive und sie nahmen bisweilen einen äußerst dramatischen Verlauf. Über andere Geschichten können wir heute schmunzeln. Doch sie alle sind mit jenem Gebäude verbunden, das vom ausgehenden 16. Jahrhundert an bis in die 1960er Jahre hinein auf diesem Platz stand.

Vom evangelischen und katholischen Wirken zur Jesuitenkaserne
Die evangelischen Landstände ließen im späten 16. Jahrhundert, nach einem fürchterlichen Brand, einige zentrale Gebäude errichten und schrieben sich damit aktiv in das Stadtbild wie auch in die Stadtgeschichte ein. Sie wollten neben ihrem politischen wie religiösen Selbstbewusstsein auch ihre soziale Haltung und ihr Bildungsbewusstsein sichtbar dokumentieren. Neben dem Landhaus als politischem Zentrum entstand etwas außerhalb des Stadtkerns ein neues Bürgerspital mit einer repräsentativen Kirche, dem heutigen Dom. Ferner betrieben die Landstände erfolgreich eine höhere Schule, das Collegium sapientiae et pietatis. Im Zuge der Gegenregenreformation wurden im Jahr 1600 sowohl das florierende Collegium als auch die Kirche geschlossen und vier Jahre später den nach Klagenfurt gerufenen Jesuiten übertragen. Die Kirche wurde neu geweiht und die Schule in ein Jesuitenkolleg umgewandelt. Die Jesuiten erhielten auch das Gebäude des Bürgerspitals. Der dreiflügelige Bau, der an die Westseite der Kirche anschloss und in etwa die Fläche des heutigen Domplatzes umgrenzte, wurde um ein Stockwerk erhöht, um nicht nur für die Ordensgemeinschaft, sondern auch für die neue Schule und ihre Schüler ausreichend Platz zu haben. Weitere Ausbauten und Ankäufe sollten folgen. 1773 hob Papst Clemens XIV jedoch den Jesuitenorden auf. Diese Entscheidung hatte auch für Klagenfurt weitreichende Konsequenzen. Das bis dahin von den Jesuiten bewohnte Gebäude wurde nach einer Erweiterung als Kaserne genutzt und trug fortan in Erinnerung an seine ehemaligen Bewohner den Namen Jesuitenkaserne. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die Anlage, die mittlerweile nicht nur eine Kaserne, sondern auch diverse Verwaltungseinrichtungen und ein Museum beherbergte, durch Bombentreffer schwer beschädigt. In den 1960er Jahren erfolgte der endgültige Abbruch der letzten noch bestehenden und als Mietkaserne genutzten Gebäudeteile.
Nach dem Abzug der Jesuiten wurde die ursprünglich evangelische Kirche zum Dom der Gurker Bischöfe erhoben. Es war ein Dom, der im Straßenbild beinahe unsichtbar blieb. Es gab weder einen würdigen Platz vor der Domkirche noch eine sichtbare imposante Fassade. Der Eingang erfolgte beinahe versteckt über einen Seiteneingang im Norden. Allein der Kirchturm war weithin sichtbar. Während des Krieges haben Bombentreffer nicht nur die Kaserne, sondern auch die Domkirche schwer in Mitleidenschaft gezogen. Erst in den 1970er Jahren wurden die letzten Schäden am Dom ausgebessert und seine Westfassade sowie die nach Abtragung der ehemaligen Jesuitenkaserne neu entstandene freie Fläche vor dem Dom als Platz, so wie wir ihn heute kennen, gestaltet.

Vielfältige Geschichte(n)
Wo sollten wir mit der Erzählung der Geschichte(n) zum Platz bzw. zur Jesuitenkaserne und den dazugehörigen Menschen beginnen? Ein Blick in die Klagenfurter Zeitungen des frühen 20. Jahrhunderts lässt uns innehalten. Erschreckend häufig finden sich in der sehr direkten wie ausführlichen Berichterstattung Meldungen über Suizide in der Kaserne. Der Druck des militärischen Alltags war nicht nur für die jungen Soldaten, sondern auch die Berufssoldaten vielfach kaum zu ertragen.(4) Suizid in der (Jesuiten-)Kaserne war zudem weder ein spezielles Phänomen der k.u.k. Armee,(5) noch einer speziellen militärischen Einheit.

1 https://www.google.at/maps/@46.6221926,14.3087307,74m/data=!3m1!1e3 (Zugriff am 1.4.2021).
2 https://www.unser-stadtplan.at/Stadtplan/Klagenfurt/map/Stadtplan-Klagenfurt.map (Zugriff am 1.4.2021).
3 Sie wurde anlässlich des 55-Jahr Jubiläums des Vereins der Klagenfurter Stadtrichter, quasi als Geschenk der Stadt Klagenfurt, aufgestellt. https://www.klagenfurt.at/rathaus-direkt/medien-presse/stadtpresse-aussendungen/2019/dezember/klagenfurt-hat-einen-stadtrichterplatz@user-ty3kif15.html (Zugriff am 1.4.2021).
4 Freie Stimmen, 13.7.1901, 4 (Selbstmord in der Kaserne). In diesem Fall war es ein Unteroffizier, der seit 12 Jahren im Dienst war. Als Motiv führt die Zeitung „gekränkten Ehrgeiz“ an.
5 Freie Stimmen, 1.1.1937, 4 (Selbstmord).