Ein Platz voller Geschichte(n)
– oder vom vergessenden Erinnern
Brigitte Entner
Als sich die Initiative Koroška/Kärnten gemeinsam erinnern · skupno ohranimo spomin formierte, gab sie sich den Arbeitstitel Initiative Domplatz. Verweilen wir ein wenig an diesem Platz, dessen Erscheinungsbild als Sinnbild für jene Geschichte(n) gesehen werden kann, die mit diesem Platz verbunden sind und werden. Der Platz selbst ist nicht nur sehr verwinkelt, sondern weist auch einige Niveauunterschiede auf. Zum Teil ist er gepflastert, zum Teil begrünt. Google Maps bezeichnet die gesamte Anlage als Domplatz, der online Stadtplan der Stadt Klagenfurt wiederum unterscheidet noch zwischen der gepflasterten Fläche, dem Domplatz, und der Grünfläche im nordwestlichen Teil des Areals, dem Jesuitenpark. Es ist dies der einzige Hinweis, der an jenes imposante Gebäude erinnert, welches nicht nur vom Ende des 16. Jahrhunderts bis Anfang der 1960er Jahre die gesamte Westseite der Domkirche umgürtet, sondern auch wichtige Impulse für die Stadt und ihre Geschicke ausgestrahlt hatte. Vor Ort, nahe der Kreuzung Lidmanskygasse – Karfreitstraße, befindet sich seit 2019 ein Straßenschild mit der Bezeichnung „Stadtrichterplatz“. Es wurde anlässlich des 55-Jahr Jubiläums des Vereins „Stadtrichter“, der den Altstadtzauber organisiert, aufgestellt.
Niveauunterschiede der Erinnerung(en)
Dieser Beitrag will versuchen, auf die Niveauunterschiede der Erinnerung(en) einzugehen, das Verwinkelte aufzubrechen und das Verdeckte, soweit es in diesem Rahmen möglich ist, wieder ein Stück weit sichtbar zu machen. Was wird aktuell der Erinnerung preisgegeben? Was wird vergessen und verdrängt an diesem Platz, der sich in der Zwischenkriegszeit unter anderem auch als Ort des Erinnerns und Bewahrens verstanden hat? Ein neuerlicher, genauerer Blick auf Google Maps enthüllt uns im nordwestlichen Teil des Areals die Existenz eines Erinnerungszeichens sowie eines Reliefs. Das Relief zeigt die Stadt Klagenfurt im ausgehenden 17. Jahrhundert und bietet somit auch einen Einblick in die räumliche Situation vor Ort. In unmittelbarer Nähe zum Relief ragt eine Marienstatue in die Höhe. Sie wurde, wie die Inschrift erklärt, anlässlich der Beendigung der Besetzung Wiens im Jahre 1683 gestiftet, nach einer wechselhaften Geschichte 2002 saniert und auf ein Sockelpodest gesetzt. Neben den beiden Exponaten befindet sich jedoch noch ein weiteres, ebenfalls 2002 erneuertes Erinnerungszeichen. Es ist dieser Gedenkstein, der den Anstoß zur Gründung unserer Initiative gegeben hatte. Wiewohl er auf Google Maps nicht eingezeichnet ist, dominiert er die am Platz eingeschriebene Erinnerungskultur, obgleich dieser Platz noch viele weitere Geschichten zu erzählen hätte. Die meisten dieser Geschichten, auch jene aus dem 20. Jahrhundert, sind dem kollektiven Gedächtnis wieder entschwunden. Sie betrafen nicht nur Individuen sondern auch Kollektive und sie nahmen bisweilen einen äußerst dramatischen Verlauf. Über andere Geschichten können wir heute schmunzeln. Doch sie alle sind mit jenem Gebäude verbunden, das vom ausgehenden 16. Jahrhundert an bis in die 1960er Jahre hinein auf diesem Platz stand.
Vom evangelischen und katholischen Wirken zur Jesuitenkaserne
Die evangelischen Landstände ließen im späten 16. Jahrhundert, nach einem fürchterlichen Brand, einige zentrale Gebäude errichten und schrieben sich damit aktiv in das Stadtbild wie auch in die Stadtgeschichte ein. Sie wollten neben ihrem politischen wie religiösen Selbstbewusstsein auch ihre soziale Haltung und ihr Bildungsbewusstsein sichtbar dokumentieren. Neben dem Landhaus als politischem Zentrum entstand etwas außerhalb des Stadtkerns ein neues Bürgerspital mit einer repräsentativen Kirche, dem heutigen Dom. Ferner betrieben die Landstände erfolgreich eine höhere Schule, das Collegium sapientiae et pietatis. Im Zuge der Gegenregenreformation wurden im Jahr 1600 sowohl das florierende Collegium als auch die Kirche geschlossen und vier Jahre später den nach Klagenfurt gerufenen Jesuiten übertragen. Die Kirche wurde neu geweiht und die Schule in ein Jesuitenkolleg umgewandelt. Die Jesuiten erhielten auch das Gebäude des Bürgerspitals. Der dreiflügelige Bau, der an die Westseite der Kirche anschloss und in etwa die Fläche des heutigen Domplatzes umgrenzte, wurde um ein Stockwerk erhöht, um nicht nur für die Ordensgemeinschaft, sondern auch für die neue Schule und ihre Schüler ausreichend Platz zu haben. Weitere Ausbauten und Ankäufe sollten folgen. 1773 hob Papst Clemens XIV jedoch den Jesuitenorden auf. Diese Entscheidung hatte auch für Klagenfurt weitreichende Konsequenzen. Das bis dahin von den Jesuiten bewohnte Gebäude wurde nach einer Erweiterung als Kaserne genutzt und trug fortan in Erinnerung an seine ehemaligen Bewohner den Namen Jesuitenkaserne. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die Anlage, die mittlerweile nicht nur eine Kaserne, sondern auch diverse Verwaltungseinrichtungen und ein Museum beherbergte, durch Bombentreffer schwer beschädigt. In den 1960er Jahren erfolgte der endgültige Abbruch der letzten noch bestehenden und als Mietkaserne genutzten Gebäudeteile.
Nach dem Abzug der Jesuiten wurde die ursprünglich evangelische Kirche zum Dom der Gurker Bischöfe erhoben. Es war ein Dom, der im Straßenbild beinahe unsichtbar blieb. Es gab weder einen würdigen Platz vor der Domkirche noch eine sichtbare imposante Fassade. Der Eingang erfolgte beinahe versteckt über einen Seiteneingang im Norden. Allein der Kirchturm war weithin sichtbar. Während des Krieges haben Bombentreffer nicht nur die Kaserne, sondern auch die Domkirche schwer in Mitleidenschaft gezogen. Erst in den 1970er Jahren wurden die letzten Schäden am Dom ausgebessert und seine Westfassade sowie die nach Abtragung der ehemaligen Jesuitenkaserne neu entstandene freie Fläche vor dem Dom als Platz, so wie wir ihn heute kennen, gestaltet.
Vielfältige Geschichte(n)
Wo sollten wir mit der Erzählung der Geschichte(n) zum Platz bzw. zur Jesuitenkaserne und den dazugehörigen Menschen beginnen? Ein Blick in die Klagenfurter Zeitungen des frühen 20. Jahrhunderts lässt uns innehalten. Erschreckend häufig finden sich in der sehr direkten wie ausführlichen Berichterstattung Meldungen über Suizide in der Kaserne. Der Druck des militärischen Alltags war nicht nur für die jungen Soldaten, sondern auch die Berufssoldaten vielfach kaum zu ertragen. Suizid in der (Jesuiten-)Kaserne war zudem weder ein spezielles Phänomen der k.u.k. Armee, noch einer speziellen militärischen Einheit.
Deutschnationale Stimmungsmache
Im April 1908 hatte das bisher in Komorn/Komárom/Komàrno (heute eine geteilte slowakisch-ungarische Grenzstadt) beheimatete 19. Feldjägerbataillon das 2. Bataillon des Infanterie-Regiments Nr. 7 (die „Siebener“ bzw. auch die „Khevenhüller“) abgelöst. Die Reaktionen, die dieser Wechsel in Teilen der Klagenfurter bzw. Kärntner Öffentlichkeit nach sich zog, vermitteln uns eine Ahnung von den beträchtlichen nationalen Spannungen, die die späte Habsburgermonarchie, besonders aber Kärnten bewegten. Die deutschnational ausgerichtete Tageszeitung „Freie Stimmen“ versuchte Anfang 1910 wiederholt öffentlich Stimmung gegen das ungarische Jägerbataillon zu machen. Als Anlass diente die Regimentsmusik. Das Singen der ungarischen und slowakischen Lieder sei derart herzerweichend, dass sogar die Hunde auf der Gasse zu heulen anfingen und geistige Arbeit für die Anrainer schier unmöglich sei, hieß es beispielsweise. In skandalisierender Empörung stellte die Zeitung dieser (ungarischen) „Rücksichtslosigkeit“ die „Ruhe und Ordnung“ des deutschen Infanterieregiments gegenüber. Wie sehr hier vermeintliche Anrainerbeschwerden von den „Freien Stimmen“ für nationalistische Hetze instrumentalisiert wurden, zeigt ein Vergleich mit dem ebenfalls in Klagenfurt erschienen katholisch-konservativen „Tagblatt“, in dem wir nichts über die „Rücksichtslosigkeit“ der Ungarn lesen.
Es ist dies nicht das einzige Beispiel (deutsch-)nationalistischer Agitation, welches wir in den „Freien Stimmen“ rund um die Soldaten in Klagenfurt und die Jesuitenkaserne im Speziellen finden. Unmittelbar vor Kriegsausbruch sind es vor allem die Slowenischsprachigen, die Krainer, wie sie damals genannt wurden, auf die besonders fokussiert wurde und deren Verlegung aus dem „deutschen Klagenfurt“ eindringlich gefordert wurde. Wirtshausschlägereien unter Soldaten unterschiedlicher Einheiten interpretierte das Blatt als unverzeihliche nationale Provokation. Besonders echauffierte sie sich aber darüber, dass die Frau des Kantineurs der Jesuitenkaserne Streichhölzer mit slowenischer Aufschrift ausgegeben hatte.
Garnisonsarrest und Exekutionen
Ausfällig gewordene Soldaten wurden, und damit kommen wir wieder zum Gebäude, in den Garnisonsarrest in die Jesuitenkaserne eingeliefert. Doch nicht nur betrunkene oder randalierende Soldaten wurden hier festgehalten. Für gefasste Deserteure begann im Arrest der Jesuitenkaserne ein häufig tödlich endender Leidensweg. Bereits im August 1914, also unmittelbar nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs, wurden erste Deserteure bzw. Stellungspflichtige, die der Einberufung nicht gefolgt waren, arretiert. Das „Kärntner Tagblatt“ berichtete beispielsweise am 23. August von ca. 50 Männern, großteils Arbeiter aus Dalmatien, die über Maribor/Marburg nach Klagenfurt gebracht worden waren, um vom hiesigen Garnisonsgericht abgeurteilt zu werden. Während des Kriegs erfolgten im Arresthof der Jesuitenkaserne, also inmitten der Stadt, auch Exekutionen von Deserteuren.
Auch während des Zweiten Weltkrieges wurden im Arrest der Jesuitenkaserne vor allem Kriegsdienstverweigerer, Deserteure und Wehrmachtsangehörige, die aktiv den Widerstand gegen das faschistische Regime unterstützt hatten, festgehalten. Einer dieser Männer war Angehöriger der Heeres-Sanitätsstaffel in Klagenfurt. Er hatte bis zu seiner Verhaftung im Herbst 1944 die bewaffnete Widerstandsbewegung in den Karawanken mit Sanitätsmaterial, Medikamenten aber auch Informationen versorgt.
In den Räumlichkeiten der Jesuitenkaserne befand sich das Divisionsgericht wo, wie ein ehemaliger Beschließer der Jesuitenkaserne nach dem Krieg als Zeuge berichtete, „der Häftlingsverkehr sehr stark frequentierte“. Das Wehrmachtsgefängnis war wie eine Drehscheibe zu verstehen. Zum Teil wurden die hier Festgehaltenen noch in Klagenfurt vor Gericht gestellt und abgeurteilt und danach in ein Straflager überstellt, wie die Osttiroler Brüder Alois und David Holzer. Die beiden Gebirgsjäger waren im Sommer 1943 anlässlich ihres Heimaturlaubs desertiert. Im Jänner 1944 wurde ihr Versteck im heimatlichen Schlaiten aufgedeckt. Bereits im März 1944 wurden sie vom Militärgericht der Division Nr. 438 in Klagenfurt abgeurteilt und in das Militärstraflager Börgermoor überstellt. Andere Häftlinge wurden von Klagenfurt aus an andere Militärgerichte überstellt, wie Alfred Wriessenegger, seit 1930 Berufssoldat und Stabsfeldwebel, und der Feldwebel Wolfgang Wieser. Die beiden wurden im Oktober 1944 vom Divisionsgericht 418 in Salzburg zum Tode verurteilt und die Todesurteile am 26. Feber 1945 in Halle an der Saale vollstreckt. Auch der bereits genannte Angehörige der Sanitätsstaffel war von Klagenfurt nach Torgau überstellt und dort am 23. April 1945 vom Reichskriegsgericht zu einer dreijährigen Zuchthausstrafe verurteilt worden.
Übel beleumundeter Beitrag zur Befreiung
Die Außenminister der alliierten Staaten hatten im Herbst 1943 in ihrer Moskauer Deklaration hinsichtlich einer Wiedererrichtung des Staates Österreich unter anderem festgehalten, dass sie explizit widerständiges Verhalten von der Bevölkerung erwarten:
„Österreich wird jedoch darauf aufmerksam gemacht, dass es für die Beteiligung am Kriege aufseiten Hitlerdeutschlands die Verantwortung trägt, der es nicht entgehen kann, und dass bei der endgültigen Regelung unvermeidlich sein eigener Beitrag zu seiner Befreiung berücksichtigt werden wird.“
Doch wie ist das junge Österreich mit jenen umgegangen, die nicht bereit waren, die in der Deklaration kritisierte Beteiligung am Kriege auf Seiten des NS-Regimes mitzutragen? Wie mit jenen, die sie aktiv verweigert hatten, wie mit jenen, die sogar aktiv den Widerstand unterstützt hatten? Am 3. Juli 1945 beschloss der österreichische Nationalrat das „Aufhebungs- und Einstellungsgesetz“. Demnach sollten alle Urteile, die nach den NS-Bestimmungen zu Hoch- und Landesverrat oder der Kriegssonderstrafrechtsverordnung ergangen waren, aufgehoben bzw. eingestellt werden. Eine systematische Umsetzung erfolgte jedoch nicht. In weiten Teilen der österreichischen Öffentlichkeit waren ehemalige Deserteure und Kriegsdienstverweigerer lange übel beleumundet. Auch in der 1947 beschlossenen Opferfürsorgegesetzgebung wurden sie nicht berücksichtigt. In den späten 1980er Jahren, vor allem nach der sogenannten Waldheim-Debatte 1986 und der Rede von Franz Vranitzky im Nationalrat 1991, entstanden vereinzelt Initiativen, die sich um eine gesellschaftliche Anerkennung und später auch rechtliche Rehabilitierung ehemaliger Deserteure und Kriegsdienstverweigerer bemühten. Doch erst im Oktober 2009 konnte das Aufhebungs- und Rehabilitationsgesetz vom Nationalrat beschlossen werden. Mit diesem Gesetz wurden alle Unrechtsurteile gegen Verfolgte der Wehrmachtsgerichte endgültig aufgehoben und die Betroffenen offiziell als NS-Opfer anerkannt. Für die Betroffenen und ihre Angehörigen erfolgte dieser Akt viel zu spät.
Slowenisch-sprachige Geiseln
In der Jesuitenkaserne wurden jedoch nicht nur Militärangehörige festgehalten. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wurde eine besondere Gruppe von Zivilisten in der Jesuitenkaserne interniert. Sehr rasch gerieten diese Menschen, wie auch die mit ihrer Internierung in Zusammenhang stehenden Ereignisse, in Vergessenheit – auch im Umfeld der Betroffenen. Während der Grenzkämpfe im Frühjahr 1919 und der damit verbundenen aufgeheizten Stimmung waren nach einem Erlass der Kärntner Landesregierung vom 29. April 1919 binnen weniger Tage über 300 Personen verhaftet worden. Es waren dies slowenisch-sprechende Männer und Frauen aus den politischen Bezirken Hermagor/Šmohor, Villach/Beljak (Stadt und Land) sowie Klagenfurt/Celovec (Stadt und Land). Sie wurden ohne entsprechende Vorerhebungen, allein auf Basis von Gerüchten, persönlichen Animositäten und Denunziationen von Gendarmen wie Angehörigen der militärischen Einheiten unter dem Vorwand, sie seien „südslavische Agitatoren“, festgenommen. Ein bestätigender Nachweis konnte von den Gendarmen nicht erbracht werden. Das Ausmaß der erfolgten Verhaftungen überraschte. Nach internen Protesten wurden auch internationale Folgen befürchtet. In Paris verhandelten die Alliierten zu jener Zeit die Nachkriegsordnung. Diskutiert wurde unter anderem auch, ob Kärntens offene Grenzfrage durch ein Plebiszit gelöst werden sollte. Um diese Chance nicht zu verspielen, ließ die Landesregierung die unkontrollierten Verhaftungen stoppen. Zudem setzte sie eine eigene Untersuchungskommission unter der Leitung der Hofräte Hugo Henriquez und Felix Possaner ein, die die Aufgabe hatte, jeden einzelnen Verhaftungsfall zu überprüfen. Mindestens 55 Personen, darunter auch Frauen, wurden in der Jesuitenkaserne festgehalten. Felix Possanner kam nach seinen Befragungen zu dem Schluss, dass in drei Fällen gewisse zu untersuchende Verdachtsmomente bestünden, ein jugoslawischer Staatsbürger auszuweisen, alle anderen unverzüglich freizulassen seien. Auch die zugezogene Staatsanwaltschaft war von deren „Harmlosigkeit und Schuldlosigkeit“ überzeugt. Vertreter des Landesbefehlshabers verhinderten deren Freilassung jedoch ohne Angabe weiterer Gründe. Zu einem ähnlichen Schluss wie Possanner kam Hugo Henriquez, der die im Raum von Spittal an der Drau festgehaltenen Geiseln befragt und deren Fälle untersucht hatte. Mitte Mai wurde schließlich der überwiegende Teil der Männer und Frauen, mit sechs Kleinkinder, freigelassen. Die Entlassungen erfolgten nicht im Sinne des Landesbefehlshabers. Es waren außenpolitische wie ökonomische Überlegungen die den Ausschlag gegeben hatten. Zum einen ging es um nicht weniger als um die Zuerkennung des Selbstbestimmungsrechtes in Form eines Plebiszites über die künftige südliche Staatsgrenze. Zum anderen gaben die Kritiker einer ausufernden Geiselnahme neben den Kosten für die Internierungsmaßnahme selbst auch eventuell gerechtfertigte Entschädigungsforderungen zu bedenken. Im September 1919 wurden schließlich, nach Austauschverhandlungen mit dem SHS Staat, die letzten Geiseln freigelassen.
Zwangsweise Aussiedlung
Das Wissen um diese Ereignisse und das Schicksal der über 300 Männer und Frauen wurde nicht nur von der hegemonialen Erinnerungskultur im Land verdrängt. Die existenziellen Verfolgungserfahrungen während der NS-Zeit hatten die Erinnerungen an die Geiselnahmen 1919 auch unter der slowenisch-sprechenden Bevölkerung überlagert. Die zwangsweise Aussiedlung von 227 Kärntner-slowenischen Familien im April 1942 bildete einen ersten dramatischen Höhepunkt der kollektiven Verfolgungserfahrungen. Innerhalb von zwei Tagen wurden 1.075 Personen, die Hälfte von ihnen waren Kinder und Jugendliche, gewaltsam von ihren Wohnstätten entfernt, entschädigungslos enteignet und in speziellen Lagern interniert. Dort wurden sie zu Zwangsarbeiten herangezogen, ihren Kindern eine qualifizierte Ausbildung untersagt und der Gebrauch der slowenischen Sprache generell verboten. Wehrfähige Männer wurden, obwohl als „Volks- und Staatsfeinde“ kriminalisiert und enteignet, zum Kriegsdienst eingezogen. 12 von ihnen fielen als Soldaten für einen Staat, der sie nicht wollte, einen Staat der sie und ihre Familie verfolgt hatte. Insgesamt hatten 53 Männer, Frauen und Kinder während der zwangsweisen Aussiedlung auf unterschiedliche Weise ihr Leben verloren. Drei Männer kamen in den Konzentrationslagern Mauthausen, Dachau und Lublin-Majdanek zu Tode, fünf weitere verstarben bei Arbeitsunfällen, alle anderen verstarben auf Grund von Krankheiten, an Altersschwäche oder nach einem Suizid.
Nach Kriegsende dauerte es bis zum Juli 1945, bis die letzten noch in den Lagern der Ausgesiedelten Verbliebenen endlich eine Möglichkeit erhielten, nach Kärnten zurückzukehren. Als am 16. und 17. Juli zwei Zugstransporte den Villacher Westbahnhof erreichten, fühlten sich die diensthabenden britischen Offiziere, die vorab nicht informiert worden waren, überrumpelt. In Kärnten befanden sich unmittelbar nach Kriegsende mit den Flüchtlingen, den gestrandeten ehemaligen Kriegsgefangenen, zivilen Zwangsarbeiter*innen, den Fremdarbeiter*innen aber auch den während des Krieges nach Kärnten verschickten Familien, den zurückströmenden Militäreinheiten und den sie begleitenden Zivilisten beinahe doppelt so viele Menschen wie 1938. Teile der zentralen Infrastruktur waren zerstört. Und die britische Militärregierung, die für all diese Menschen verantwortlich war, wollte keine „weiteren“ Menschen in Kärnten haben, die sie versorgen musste.
Neuerliche Internierung
Nachdem Gerüchte laut wurden, dass die heimkehrenden ehemals Ausgesiedelten zurück in die amerikanische Zone geschickt werden sollten, hatten sie die Zugwaggons verlassen und blieben mit ihren Kindern bis zum nächsten Tag am Bahnsteig, um einen Rücktransport zu verhindern. Der diensthabende britische Offizier hatte daraufhin eine Polizeieinheit beauftragt, die Streikenden unter Waffengewalt zur Aufgabe zu zwingen. Am 18. Juli traf noch ein weiterer Transport in Villach ein. Nach Verhandlungen mit der britischen Militärregierung in Klagenfurt erhielten die Heimkehrenden die Zusage, dass sie bleiben und zunächst nach Klagenfurt gebracht würden. Doch dort erwartete sie kein ehrender Empfang, wie ihn beispielsweise wenig zuvor die ehemals im KZ Dachau internierten Heimkehrer erhalten hatten. Noch am Bahnhof wurden sie von britischen Militärs übernommen, zur bombengeschädigten Jesuitenkaserne gebracht und dort für eine Woche festgehalten. Niemand durfte die Kaserne verlassen. Die ihnen zugewiesenen Räumlichkeiten waren äußerst desolat. So gab es für die ca. 400 Männer, Frauen, Kinder und Jugendlichen nur zwei funktionierende Toiletten und keinerlei Waschgelegenheit. Die meisten mussten am bloßen Fußboden schlafen. Für die zwangsweise Ausgesiedelten war es eine sehr problematische Erfahrung, nicht erwünscht zu sein und neuerlich interniert zu werden. Nach ihrer endgültigen Entlassung am 25. Juli 1945 mussten viele Familien erleben, dass ihr Zuhause entweder von anderen bewohnt wurde, die nicht ausziehen wollten, oder aber, dass ihr Heim völlig ausgeraubt und nicht mehr bewohnbar war.
Verhinderte Gedenkfeier 1946
Anlässlich der vierten Wiederkehr der zwangsweisen Aussiedlung wollten die Opfer- und Interessensverbände der Kärntner Slowen*innen am 15. April 1946 eine Gedenkveranstaltung mit einer Messe im Dom durchführen. Die Kärntner Behörden zögerten zunächst mit bürokratischen Finten die Genehmigung der Veranstaltung hinaus. Die Initiator*innen werteten dieses Vorgehen als ein taktisches Manöver. Sie vermuteten, dass es nicht gewünscht war, dass sowohl das Ausmaß der gegen die Kärntner-slowenische Bevölkerung gerichteten NS-Verfolgungsmaßnahmen als auch deren aktiver und umfassender Beitrag an der Niederschlagung des NS-Regimes dokumentiert wird. Insgesamt hatten mindestens 530 Kärntner Slowen*innen im Zuge der NS-Verfolgungsmaßnahmen ihr Leben lassen müssen. Zu dieser Zahl kommen noch jene 150 bis 200 Kärntner Slowen*innen, die im Rahmen der NS-Euthanasiemaßnahmen ermordet wurden.
Erst als die politische Vertretung der Kärntner-slowenischen Bevölkerung, die Osvobodilna fronta za slovensko Koroško (Befreiungsfront für slowenisch Kärnten, OF), die Verantwortung für die Veranstaltung übernommen hatte, konnte die Veranstaltung nicht mehr aus formalen Gründen verhindert werden. Nun versuchten die Behörden mit schikanösen Maßnahmen die Zahl der Teilnehmenden möglichst klein zu halten. Zum Teil wurden ihnen am Weg die Papiere abgenommen, oder sie wurden, wie Pfarrer Janko Mikula, der als Festredner vorgesehen war, kurzerhand verhaftet. Dennoch zählten die Sicherheitsbehörden mehr als 1.000 Personen, die zur Veranstaltung gekommen waren.
Viel schlimmer als all die Schikanen aber empfanden die Teilnehmenden das kurzfristige Verbot des Gedenkgottesdienst. Sie ließen sich nicht vertreiben und beteten vor Ort gemeinsam einen Rosenkranz für ihre zahlreichen Todesopfer. Im Anschluss zogen sie in einem Schweigemarsch in Richtung Bahnhof, um auf die vielen Transporte hinzuweisen, die hier ihren Ausgang genommen hatten. Die Abschlusskundgebung sollte in St. Ruprecht vor dem heutigen Volkskino stattfinden. Mit Transparenten und Tafeln machten sie ihre Opfer sichtbar, mit der Parole „Smrt fašizmu“ verwiesen sie auf ihren erfolgreichen antifaschistischen Kampf. Auf ihrem Weg stießen die Teilnehmer*innen auf weitere Hindernisse wie Wasserwerfer und prügelnde Polizisten. Zwei Personen, darunter ein ehemals Ausgesiedelter, wurden krankenhausreif geschlagen. 79 Personen wurden festgenommen. Der Leiter des britischen Informationsdienstes, Gerald Sharp, der die Veranstaltung beobachtet hatte, war schockiert von dem Vorgehen der österreichischen Polizei. In seinem Bericht hielt er fest, dass weder die von ihm aufgezeichneten Reden noch das Verhalten der Teilnehmer*innen dieses rigorose Vorgehen gerechtfertigt hätten. Viele Teilnehmende, vor allem ehemals Internierte, erfuhren anlässlich dieser Veranstaltung eine neuerliche Traumatisierung.
Ort der Erinnerungen
All diese Ereignisse sind mittlerweile in Vergessenheit geraten. Dabei war die Jesuitenkaserne bereits in der Zwischenkriegszeit als Ort der Erinnerungen auserkoren worden. Am 10. Oktober 1922 war der „Khevenhüller-Bund“ als Kameradschaftsbund gegründet worden. Er sah sich als Traditionsträger des „Siebener Regiments“, das bei den Kämpfen in den Karnischen wie Julischen Alpen, vor allem aber an der Isonzofront schwerste Verluste erlitten hatte. Es waren Heimkehrer dieses aufgelösten Regiments, die während des Grenzfindungskonfliktes 1918/19 im Volkswehrbataillon gekämpft bzw. die Einheiten kommandiert hatten, wie die Offiziere Hans Steinacher und Eduard Barger. Ludwig Hülgerth wurde gar zum Landesbefehlshaber bestellt. Teile des Volkswehrbataillons gingen schließlich in dem 1920 formierten Kärntner Alpenjäger-Regiment Nr. 11 auf. Anlässlich des 10-jährigen Bestandes des „Khevenhüller-Bundes“ wurde in den Räumlichkeiten der Jesuitenkaserne ein „Regimentsmuseum des Kärntner Alpenjäger-Regimentes Nr. 11“ eröffnet. Diese „Ehrenhalle der Kärntner Truppen“ wollte, wie es in einem Spendenaufruf um Erinnerungsstücke für die Sammlung hieß, „die heroischen Taten des Weltkrieges und der Kärntner Freiheitskämpfe der Nachwelt vor Augen“ führen. Die Eröffnung des Museums am 23. Oktober 1932 wurde von einem großen Festakt begleitet. Oberst Barger, Kommandant an der Isonzofront sowie während des Grenzfindungskonfliktes, schloss die Veranstaltung folgendermaßen:
„Wir alten leisten mit unseren jungen Kameraden heute erneut das Gelöbnis: Treue und Opferwillen für unser deutsches Volk, für unsere geliebte Kärntner Heimat! Unseren Landsleuten gilt der Wunsch: mögen alle die Vaterland und Volk als heilige Begriffe hochhalten, jene geschlossene Front bilden, die uns unsere Siege gebracht hat. Möge diese Front auch siegen im Kampfe um die Ehre und Freiheit eines ungeteilten, glücklichen Kärnten!“
Oberst Eduard Barger sprach, wie auch seine Vorredner Maier-Kaibitsch als stellvertretender Obmann der Bundesleitung des Bundes und Landeshauptmann Ferdinand Kernmaier, von Siegen. Doch der Erste Weltkrieg war verloren, wie auch der Grenzfindungskonflikt von der Volkswehr nicht siegreich beendet werden konnte. Mit der Betonung des deutschen Volks, oder gar des „echten deutschen Soldatengeists“, wie es Kernmaier formuliert hatte, wurden die Leistungen wie auch das Leid der slowenischsprachigen Kärntner Soldaten während des Ersten Weltkrieges ausgeblendet, vergessen gemacht, obwohl sie bei den Kämpfen gegen die italienische Armee einen entscheidenden Faktor an der vielbeschworenen „geschlossenen Front“ ausgemacht hatten. Das Armeeoberkommando hatte an der Südwestfront gezielt auf den Patriotismus der slowenischen Soldaten gesetzt. Diese mussten in der Folge auch einen großen Blutzoll bei den Kämpfen an der Isonzofront leisten. Und Kärnten war nach dem Staatsvertrag von Saint-Germain-en-Laye 1919 nicht „ungeteilt“ geblieben, es hatte das Kanaltal/Val Canale/Kanalska dolina/Val Cjanâl (mit Weissenfels/Fusine/Fužine und Raibl/Rabelj) an Italien und das Mießtal/Mežiška dolina und Seeland/Jezersko an den SHS-Staat abtreten müssen.
Die Reden anlässlich der Museumseröffnung zeigen, wie rasch sich nach dem Plebiszit von 1920 ein neuer Kärnten Mythos etablieren konnte, der den politischen Eliten im Lande für die Schaffung einer neuen Ordnung, eines neuen Wir-Gefühls unabdingbar schien. Die Phrase vom „ungeteilten Kärnten“ stand für ein nach außen als „deutsch“ präsentiertes Kärnten, das dem Slowenischen keinen Platz zugestanden hatte. Eine Politik der konstanten Ausgrenzung war mittlerweile für ein Fünftel der Kärntner Bevölkerung bittere Realität geworden.
Nach der Eröffnung des Museums bemühte sich der „Khevenhüller-Bund“ das Gebäude selbst und seine Geschichte zu historisieren. „Gedächtnistafeln“ sollten an den Außenmauern vom Haus und den darin untergebrachten Truppen erzählen. Doch nicht nur das Gebäude war Teil der Kärntner und speziell der Klagenfurter Erinnerungskultur geworden. Die in der Jesuitenkaserne stationierte Militärkapelle war seit den frühen 1920er Jahren wesentlicher Teil der zentralen Gedenkveranstaltungen, wie den Feiern zum 10. Oktober oder zum 12. November, dem damaligen Staatsfeiertag, geworden. Der vorabendliche Zapfenstreich machte immer auch vor der Kaserne Station.
Museale Pläne
Bis zur Eröffnung des Regimentsmuseums hatte sich eine nicht unerhebliche Sammlung von Militaria im Landesmuseum befunden. Trotz der Abgabe dieses Bestandes beklagte das Museum in der Folge einen eklatanten Platzmangel für seine Sammlungen und die umfangreiche Bibliothek. Unmittelbar nach dem sogenannten Anschluss gab es erste Planungsgespräche mit der Bauabteilung des Landes. Doch die Hoffnung auf einen Neubau musste wenig später wieder aufgegeben werden, obwohl sich der Platzmangel verschärfte. Das Museum hatte die vom NS-Regime konfiszierten Sammlungen des Stiftes St. Paul sowie Teile der in Wien arisierten und beschlagnahmten Kunstschätze übernommen. Doch nicht nur das Landesmuseum, sondern auch die Landesgalerie, die Studienbibliothek sowie das Reichsgauarchiv klagten über Raumnot. Parallel dazu gab es in Kärnten Pläne zu einer Neugestaltung der wissenschaftlichen und musealen Landschaft. Ein Erlass des Reichsstatthalters vom Dezember 1940 gibt uns einen Einblick in diese Überlegungen. Der Erlass zeigt auch, wie geplant war mit der „Raumnot“ der genannten Einrichtungen umzugehen. Von einem Neubau eines Bibliotheks-, Archiv- und Museumsgebäudes war man kriegsbedingt abgegangen. Anstelle dessen hatte man, für die Zeit nach dem Krieg, die Jesuitenkaserne ins Auge gefasst. Hier sollten alle genannten Einrichtungen untergebracht und zusammengeführt werden. Damit würden die Einrichtungen aber auch ihre Eigenständigkeit aufgeben müssen, denn die Museen (mit Ausnahme der naturkundlichen Sammlung) und die Landesbildergalerie sollten unter eine einheitliche Leitung gestellt und deren Sammlungen in das Eigentum des Gaues übergeben werden. Die Jesuitenkaserne sollte also, sobald diese nicht mehr für militärische Zwecke gebraucht würde, zu dem zentralen Sammlungs- und Ausstellungsort in Klagenfurt und somit wieder zu einem Ort der Bildung umfunktioniert werden, so der Plan der Landesverwaltung.
Das bald erhoffte Kriegsende und damit die Sanierung und Adaptierung der Jesuitenkaserne als neuem Ausstellungs-, Sammlungs- und Forschungskomplex rückte jedoch in weite Ferne. Nichtsdestotrotz fand am Vorabend zu den 10.-Oktober-Feierlichkeiten 1942 die feierliche Übertragung der Sammlungen in das Eigentum des Landes bzw. in die Gauselbstverwaltung statt. Tags darauf erfolgte die Konstituierung des „Instituts für Kärntner Landesforschung der Universität Graz in Klagenfurt“. Das Datum wurde nicht zufällig gewählt. Es zeigt welche Erwartungen die politische Landesführung in die wissenschaftliche Forschung und die Vermittlung setzte: Es ging um nicht weniger als die wissenschaftliche Legitimierung der jüngst in Angriff genommenen brutalen „Neuordnung“ des Alpen-Adria-Raums inklusive einer konsequent verfolgten Germanisierungspolitik sowie der in Kärnten schon länger betriebenen Entnationalisierungspolitik.
Verwischte Spuren
1942 waren in der Jesuitenkaserne Angehörige des Gebirgsjäger Ersatz Regiments 139 untergebracht. Teile dieses Regiments waren im April 1941 am Überfall auf Jugoslawien beteiligt gewesen. Sie blieben nach Abschluss der Kampfhandlungen als Teil der Besatzungsmannschaft in Oberkrain/Gorenjska. Zu ihren zentralen Aufgaben gehörten „Sicherungsmaßnahmen“, also die Partisanenbekämpfung in Oberkrain und Kärnten. Nach der Waffenstillstandserklärung der Regierung Badoglio im September 1943 gründete das NS-Regime im von ihm besetzten nordöstlichen Teil Italiens die Operationszone Adriatisches Küstenland und ernannte den Kärntner Reichsstatthalter Friedrich Rainer zum Obersten Kommissar. Zur Bekämpfung des Widerstands in Istrien wurde das zu diesem Zweck formierte Reserve Gebirgsjäger Regiment 139 entsandt.
Gegen Kriegsende beschädigten Bombentreffer die Jesuitenkaserne schwer geschädigt und zerstörten alle Hoffnungen auf ein neues Zentralmuseum. Unmittelbar nach der Befreiung am 8. Mai 1945 bezogen jugoslawische (bis zum 20. Mai) und britische Einheiten hier Quartier und nutzten Teile des Gebäudes zur Internierung ihrer Gefangenen. Aber auch die heimkehrenden zwangsweise ausgesiedelten Kärntner-slowenischen Familien wurden im Juli 1945 hier interniert. Bewohnbare Teile des Gebäudes wurden in weiterer Folge als Wohnraum an Bombengeschädigte vergeben. 1960 begann der großräumige Abriss des Komplexes. 1964 wurden die letzten Spuren verwischt, darunter auch die mittlerweile von den Mietern als Kellerabteile genutzten Arrestzellen.
Wiederfinden
Die meisten mit diesem Ort verbundenen Geschichten sind heute ebenso vergessen wie das imposante Gebäude, das über 350 Jahre diesen Platz dominierte und weit in die Stadt und in das Land ausstrahlte. Manche dieser Geschichten wurden von anderen (historischen) Ereignissen überlagert und verdeckt, andere wurden aus (historischer) Unwissenheit ausgelöscht, einige aber wurden ganz bewusst vergessen gemacht. Mit dem bewussten Erinnern und/oder Vergessen wurde und wird Geschichte gemacht und gewünschte Machtverhältnisse abgesichert. Eine kritische Auseinandersetzung mit der vermittelten Geschichte und ihren Mythen ist für eine offene Gesellschaft unabdingbar.